Schreibleben – oder die sanfte Revolution
Die Sonne taucht die Vorlesende auf der Freitreppe in ein goldwarmes Abendlicht, während über ihr am Himmel die ersten taumelnden Fledermäuse nach Fliegen jagen. Ein Gong beendet die fünf-minütige Lesezeit: Applaus. Eine poetische Lesung? Mitnichten: hier wird Forschungsarbeit vorgestellt. Im sommerlichen Schreibaschram gehören die Lesungen der ersten Ergebnisse des täglichen Schreibpensums zum Programm.
Hier wird knackfrisch aufs Papier gedachte Wissenschaft vorgelesen. Nun folgt konzentriertes und konstruktives Feedback der Zuhörenden aller Disziplinen. Beim Vorlesen merkst Du sofort, wenn an Deinem Text etwas nicht funktioniert, die Impulse anderer bereichern und vergrößern die eigene fachverengte Perspektive. Neue Ideen und Verbindungen tauchen auf, Stilfragen werden besprochen und können gleich am nächsten Tag in den Text eingearbeitet werden. Manchmal entspinnt sich bis in die Nacht ein kleiner kontroverser Fachdiskurs. Hier geht Wissenschaft anders.
Am nächsten Tag wird die gesamte Gruppe wieder zur gleichen Zeit im großen Schreibsaal von der kontemplativen Stille des gemeinsamen Schreibens profitieren und ihre Promotionen im wahrsten Sinne des Wortes vorantreiben. Ist das eine Utopie? Nein, so sieht das neue Schreibleben von jungen Kopfarbeitern aus. Bisher zwar noch eher als Ausnahme im Schreibaschram oder im Schreib-Sweatshop, oder auf außeruniversitären Arbeitsretreats. Diese neue kooperative Haltung zum Schreiben und Forschen jedoch könnte und müsste unserer Meinung nach viel mehr in den Instituten der Universitäten Einzug halten. Forschungsteams brauchen keine Schreibdidaktik, keine Schreibworkshops mit Trockenschwimmen, keine Powerpoints darüber wie etwas geht. Wohl aber brauchen sie angeleitete Schreibprozesse, die ihnen Struktur geben, die sie entlasten beim Entwickeln ihres Denkens – und zum Schreiben verführen.
Immer wieder erleben wir staunende Wissenschaftler, die bei unseren Schreibprozessen in Flow geraten, eine oftmals schon länger vergessene Serotonin-Ausschüttung, die die eigene Begeisterung und neue Gedanken in Geschriebenes zu verwandeln vermag. Bei einer Teampublikation kein Facilitation hinzuziehen, ist unserer Erfahrung nach weniger produktiv und oftmals sogar zermürbend. Trotzdem ist dies aktuell der Status Quo an Universitäten. Wir befinden uns schließlich im Wissens-Business und Unterstützung anzunehmen, kommt Wissenschaftlern so vor, wie ihre eigene Kompetenz infrage zu stellen, statt sie eben professionell zu entfalten. Lieber wird der Sammelband verschleppt, die Projektpublikation rausgewurschtelt und dabei das Team zerschlissen. Einige Universitäten machen es bereits vor, die FU Berlin, die HU Berlin, die Märladalen University in Schweden setzen angeleitete Schreibprozesse ein, um ihre Potenziale zu entfalten.
Den Prozess bis zu einer fertigen Anthologie zu führen, das lässt sich durch zwei Seminartage stabilisieren und zügig zum erfolgreichen Abschluss bringen. Ebenso unterstützt die Atmosphäre eines gemeinsamen Schreibraumes und synchronisierter Denk- und Schreibzeiten auch Prokrastinierende und Störanfällige, die sich sonst zu schnell wieder von der selbst gesetzten Aufgabe abwenden würden. Es ist für Forschung und Wissenschaft überlebenswichtig, Konzentrationsräume neu zu gestalten, ein neues Schreib-Leben zu etablieren. Kooperatives Schreiben, entweder am eigenen Text, aber in wohlwollend rückkoppelnder Gemeinschaft oder auch Gemeinschaftspublikationen, die wirklich gemeinsam geschrieben werden, können in den neuen angeleiteten Team- und Schreibprozessen vorangebracht werden. Denken und Schreiben, aber vor allem auch das Teilen und der Synergieeffekt der Schwarmintelligenz bringen Freude und Vertiefung und damit endlich den Mut zu Originalität und Eigenständigkeit zurück in die Abläufe des Forschens. Wissenschaftliches Schreiben soll kein verschämtes einsames Nebengeschäft bleiben, sondern luftig ans Tageslicht gebracht werden in ungewöhnlichen Seminaren und Arbeits-Events, die danach auch den Transfer ins tägliche Unigeschäft garantieren. Junge Forscher tun sich zusammen, um den Staub abzuschütteln und auf neue Arten und Weisen wach zu bleiben. Die Revolution ist für uns das eigene Schreibleben wirklich zu beatmen und zu verkörpern und mit aktivierenden Methoden aus Design Thinking, Kunst und Coaching, mit Diskussionen und interdisziplinärem Interesse in Fluss zu bringen. Nur das wird die Dissertationen „pro-movieren“, nach vorne bringen. Als Flow-Facilitators sind wir Schreibcoaches nur die Ermöglicher. Die eigentlichen Umwälzer sind jene anders-schreibenden jungen Wissensarbeiter, die heute schon schreibleben! Schön, dass auch Universitäten endlich die Zeichen der Zeit erkennen und das Neue ermöglichen!
Dieser Post ist anlässlich der Blogparade zur Zukunft des wissenschaftlichen Arbeitens von Natascha Miljkovic entstanden. Vielen Dank für die Initiative!http://www.plagiatpruefung.at/blogparade-zukunft-wissenschaftliches-arbeiten/